Verloren
Untersuchungen bestätigen die grausame Wahrheit: Sirona ist über dem Südatlantik abgestürzt, es gibt den offiziellen Angaben zufolge keine Überlebenden.
Darken und seine Brüder versinken in tiefe Trauer. Kann es eine Zukunft ohne Sirona geben? Was bedeuten die Träume, die Darken plötzlich nach zwei Jahren zu quälen beginnen und in denen Sirona sich wie eine Ertrinkende an ihn klammert? Und wer ist die Unbekannte, die an einer afrikanischen Küste ohne Gedächtnis aufgefunden wird und der man den Namen Fayola – das gute Schicksal – gibt?
Er war in einem Traum gefangen, in dem sich die Finsternis der Nacht nicht von der Dunkelheit des Tages unterscheiden ließ. Er spürte, wie er die Orientierung verlor. O Gott, es tat so weh! Schwarze Leere, da war einfach nichts!
Langsam versuchte Darken, seinen Arm zu heben, um zu kontrollieren, ob er seinem Verstand noch Befehle erteilen konnte, sein Körper gehorchte ihm nicht mehr.
Ein Stöhnen drang durch seinen Mund. »Alles so schwer! Alles so leer!« Wo einst Sirona seine Seele berührt und gestreichelt hatte, da war jetzt nur noch ein gähnendes Vakuum.
Vorsichtig versuchte er zu atmen, um zu verhindern, dass der Sauerstoffmangel zu Lichtblitzen in seiner Iris führte, die ihn in seiner Dunkelheit blendeten.
Ich will nicht atmen, ich will es nicht!, dachte er gequält, dann versuchte er, sich zusammenzureißen. Aber du wirst, denn sie hätte es so gewollt.
Die Verzweiflung, gegen die er sich aufbäumte, war wie ein Sturm, der ihn immer wieder gegen eine Felswand schlug und seinen Körper mit einem unerträglichen Schmerz durchflutete. Er drohte in der Flut seines Schmerzes zu ertrinken, sie stieß ihm in die Lungen, er schmeckte Salzwasser, hustete und verschluckte sich an seinen Tränen.
Ein außer Kontrolle geratener Weinkrampf durchzog seinen erstarrten Körper, er bebte.
Plötzlich bäumte er sich auf, schrie: »Hab Erbarmen! Wenn es dich gibt, o Gott, lass mich sterben, ich kann nicht ohne sie, ich will nicht! Lass mich gehen, lass mich einfach zu ihr!«
Seine Atmung setzte aus, verringerte die Sauerstoffzufuhr, ließ ihn erneut in ein Delirium abtauchen, hinunter in die Nebel.
Ein Licht, flackernd und unscheinbar, dahinter ein Schatten. Ein Name drang zu ihm durch: Taamin.
Aber er war zu schwach. Sein ganzes Ich war bestimmt von Schmerz, da war kein Platz für Leben.
Taamin stand mit der Stirn an die Schlafzimmertür seines Königs gelehnt und konnte nicht verhindern, dass jedes Stöhnen, welches durch die Tür drang, ihn erzittern ließ. Tränen rannen über sein Gesicht. Er hatte es gerade noch geschafft, Darken bis hierher zu bringen, dann hatte der ihn plötzlich angebrüllt und rausgeworfen, die Tür war ins Schloss gefallen.
Aluinn war erschienen, auch ihn musste er halten, damit der alte treue Diener nicht stürzte.
Jetzt war es still auf Castello, nur die schmerzerfüllten Geräusche aus diesem Raum zeigten ihm, dass er nicht ganz allein war.
Erschöpft sank er auf die Knie.
Was soll ich nur machen?
Bevor der Kummer gänzlich Besitz von ihm ergriff, rappelte er sich auf und ging in sein Zimmer. Es war besser, wenn Darken nicht auch noch seine Trauer hörte oder spürte.
Er lag auf dem Rücken in seinem Bett und starrte die Decke an. Wie sollte es jetzt weitergehen? Wie sollte das funktionieren? Nein, ein Leben ohne Sirona war nicht möglich, oder doch?
Ich muss mich um Darken kümmern, sobald er es wieder zulässt.
Wenn sein König sich beruhigt hatte, würde er ihm sagen können, wie er weiterleben sollte, wie sie weiterleben konnten. Das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein, lähmte ihn. Er zwang sich zu dem Gedanken, dass er irgendwann enden würde, das ließ ihn gegen alle Vernunft entspannen.
Sie kommt wieder!, murmelte er in Gedanken wie ein Mantra, immer und immer wieder.
Er musste eingeschlafen sein. Als er durch das Vibrieren seines Handys aufgeschreckt wurde, griff er verwirrt danach, ohne zu wissen, ob es Tag oder Nacht war.
»Ja?«
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